Maßvoll zu leben ist eine Tugend. Ich finde das ist eine der schwierigsten Lebensaufgaben die wir haben – herauszufinden wann es GENUG ist … im Guten wie im Schlechten … Im Guten übertreiben wir oft und im Schlechten nehmen wir zu wenig hin, oder?
Für mich eine der schwersten Fragen im Leben, deren Antwort ich (immer wieder) suche.
Ist das noch heile oder kann das weg?
Vor einigen Wochen hatte ich eine heftige Auseinandersetzung mit einer Freundin. Wir waren verabredet, um den Tag gemeinsam zu verbringen und alles, was in unserer Kommunikation, Minuten vor der Abfahrt, schief gehen konnte, ging schief. Missverständnisse, Erwartungshaltung, Vorurteile.
Wo man nicht sein will
Wir waren plötzlich an einem Punkt, an dem es sich irgendwie nicht mehr richtig und gut anfühlte, den Tag miteinander zu verbringen. Wir waren beide enttäuscht, verletzt, wütend und überhaupt war klar: Das will ich nicht! Sowas braucht man nicht! Und einen ganzen Tag davon schon mal gar nicht!
Jetzt ist alles kaputt
Ich hatte das Gefühl, dass wenn wir jetzt den Hörer auflegen und uns nicht persönlich begegnen – JETZT – dann geht etwas zu Bruch, das nicht mehr zu kitten ist.
Dieses Gefühl kenne ich und einiges in meinem Leben ist genau so zu Bruch gegangen. Das wollte ich hier nicht riskieren.
Wir haben es trotzdem gemacht
Ich bin sehr dankbar, dass wir genau da gemeinsam beschlossen haben trotzdem – oder gerade deshalb, den Tag miteinander zu verbringen. Ich muss ehrlich gestehen, lange habe ich mich dieser Person nicht mehr so nah gefühlt wie in den letzten Wochen seit diesem Moment!
Natürlich haben wir die Zeit genutzt das Geschehene miteinander zu bekakeln und dabei kam etwas heraus, dass ich von mir sehr gut kenne, mit bis dato aber nicht bewusst war, das andere vielleicht auch so ticken.
Etwas hin- oder wegwerfen bevor es ein anderer tun kann!
Was war passiert? Diese Frage stellten wir uns. Aus einem Missverständnis kam bei mir ein ganzer Zirkus an Gedanken, die ich darauf aufbaute. Viele Situationen aus der Vergangenheit waren in einem Fass gelagert, welches nun in einem vermeintlich unwichtigen Moment explodierte.
Ich bemerkte, dass ich innerlich so aufgewühlt war, dass ich das Telefonat erst mal unterbrechen wollte, um mich zu sammeln. Ein neuer Mechanismus, den ich mir versuche anzugewöhnen, da ich bemerkt habe, dass mir die Pause-Taste oft dienlicher ist als der Explosionskopf.
Das Innen sieht man im Außen nicht.
Dass man ja aber nicht in mich reinschauen kann, vergesse ich dabei manchmal noch – sodass meine wohlgesonnene Pausetaste als Endtaste interpretiert wurde und bei meinem Gegenüber das Fass aufmachte, welches bei mir auch schon offen war: Das „Ist mir egal – dann geh doch!“ Fass.
Was ich töte, kann mich nicht töten!
Das kenne ich sehr gut! Es tut weh! Und damit es nicht noch mehr wehtut, ich den letzten Rest meiner Würde behalte, mache ich schnell kaputt, was noch da ist, um „kraftvoll“ zu sein oder das Gefühl von Kontrolle zu behalten, wenn etwas zu entgleiten versucht.
Frei nach dem Motto „Hauptsache das Unkraut ist raus, wenn dabei hier und da eine Blume dran glauben muss … so what?“
Das richtige Maß
Wir leben heute in Extremen und Gegensätzen und dabei sollen wir immer unsere Mitte finden … fraglich, wie das gehen soll.
Gleichzeitig wollen wir, zumindest glaube ich das, alle eine Verbindung mit anderen. Gesellschaft und Zugehörigkeit. Da kann man nicht immer alles töten, wegschieben und abhaken, was einem nicht passt, sonst funktioniert Leben nicht.
Doch wann ist das Maß voll?
Wann ist es gut zu bleiben, wann zu gehen?
Wann etwas aktiv zu beenden und wann abzuwarten.
Wann sollte man etwas mehr Leidensdruck aushalten und wann ist der Kessel einfach schon überfüllt?
Sunk Costs oder Investition
Den Unterschied zu erkennen zwischen Investition und versenkter Kosten ist auch in der Wirtschaft ein entscheidendes Kriterium für Erfolg. Wann sollte man loslassen und die bisher investierten Ressourcen einfach abschreiben und wann ist eine letzte Investition nötig, um das Baby zum fliegen zu bringen … Die Geschichte ist voll von Geschichten die „kurz vor Knapp“ aufgegeben haben, aber auch von „lange genug durchgehalten“ und Erfolg gehabt.
Was also tun und wann?
Ich habe keine Antwort darauf und hänge daher selbst einerseits zu lange in der Warteschleife. An anderer Stelle springe ich dafür zu schnell ab. Ich denke das gehört zum Leben einfach dazu, dass man nicht immer das richtige Maß findet, sondern sich immer wieder ausloten muss. Das kostet oft Zeit und Nerven.
Was man aber auf keinen Fall tun sollte:
Im Zweifel lieber etwas länger „leiden“.
Wir sollen heute glücklich sein. Immer. Schlecht fühlen, fühlt sich nicht nur schlecht an, sondern ist es auch. Wirklich?
Hier ist aber ein Unterschied, denn auch Sport fühlt sich manchmal richtige scheiße an – ist aber gut.
Die Pizza fühlt sich für mich immer „gut“ an, aber … you know where I am going ….
Aufruf zu mehr Leid?
NEIN! Das soll kein Aufruf zum prinzipiell „mehr Leiden“ sein. Ich glaube nur, dass wir eigentlich mehr aushalten könnten, als wir tun und dann mit dem Ergebnis zufriedener wären. Bei all dem Druck heute immer Glücklich sein zu müssen/sollen und das möglichst schnell verlassen wir Dürren und Wüsten oftmals schneller als wir die nährende Oase erreichen könnten.
Natürlich kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob sich durchhalten lohnt, denn wir wissen nicht ob wir tatsächlich auf einen „Schatz“ hinarbeiten. Oft wissen wir gar nicht, ob es tatsächlich einen gibt, sonst wüssten wir alle, dass wir einfach nur länger durchhalten müssen, um ans Ziel zu kommen.
Ich glaube aber tatsächlich, dass das Meiste, was wir im Leben erreichen wollen, mit Durchhalten zu bekommen ist. Vielleicht muss das Werkzeug zwischendurch geschärft oder gar geändert oder hinzugefügt werden. Aber irgendwann … kommt man an!
Wenn man aufgibt und keine Alternative sucht, dann weil es vielleicht nicht wichtig genug war oder „die Sache nicht Wert“.
Auch das ist ok – dann aber hübsch ehrlich zu sich bleiben und sich nicht die Geschichte erzählen „Ich habe alles versucht“. Die Wahrheit ist eher: „Ich habe versucht, was ich bereit war zu versuchen“. Mehr was es mir nicht wert.
Was macht das für einen Unterschied?
Es ist ein Unterschied mit der Einstellung durch’s Leben zu gehen etwas nicht geschafft zu haben, weil die Welt es einem nicht gegönnt hat oder weil man selbst beschlossen hat: Mir reicht’s? Nur so geht’s dann voll Kraft an ein neues Projekt ohne sich stetig weiter zu fragen: Was wäre gewesen, wenn … Wie sonst sollen wir weiter in uns und die Welt vertrauen, dass wir Dinge erreichen und Beziehungen funktionieren können.
Die Welt liebt dich. Erlebe sie ehrlich.
Deine Katha