Wann hast du das letzte Mal geweint? Warum weinen wir eigentlich? Ist das ok? Gesund? Krank? Warum wir unsere Angst vor Tränen ablegen und Weinen kultivieren sollten!
Vor einigen Jahren besuchte ich ein Gospel Konzert in Hamburg. Gut gelaunt betrat ich den Saal und setzte mich in die letzte Reihe. Ich weiß, dass Musik mich schnell berührt und daher ist es nicht selten, dass mir Tränchen in die Augen schießen, sobald die ersten Töne erklingen, doch was da geschah, war selbst mir bis dato unbekannt gewesen.
Der Chor setzte ein und mit ihm meine Tränen – hier wäre es wohl angebracht von den Niagarafällen zu sprechen, denn diese schienen sich aus meinem Gesicht zu ergießen.
Zu Beginn versuchte ich noch das Geheule zu unterdrücken.
„Jetzt reiß dich mal zusammen, das ist doch lächerlich!“ …
„Wo kommt das denn jetzt her?“ …
… war unter anderem mein sofort einsetzender, innerer Dialog.
Ich kramte meine Taschentücher aus der Tasche und schnäuzte einige Male kräftig, in der Hoffnung damit Tränenflüssigkeit aus meinem Körper verbannen zu können – Fehlanzeige! Irgendwann gab ich auf und mich dem Wasser hin. So verbrachte ich also das gesamte Konzert heulend, wie ein Schlosshund und ging im Anschluss nach Hause.
Das war’s! Ende. Kein Drama, keine Pointe, kein Nachspiel. Trockenes Gesicht und fertig!
Das Beste daran war: Eine Frau fragte mich, während sie mir noch ein Taschentuch reichte, ob es mir gut ginge und ließ mich einfach weiter weinen, als ich ihre Frage verneinte. Das Gefühl einfach so da sein zu können, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob ich andere damit „belaste“ oder „irritiere“, hat diese Stunden zu einer erholsamen Zeit für mich gemacht. Trotz Tränen.
Was heißt hier eigentlich trotz Tränen? Gerade weil! Als sei das etwas Schlimmes!
Gestern war dann wieder so eine Situation. Zwar nicht ganz aus dem „Nichts“ und auch nicht völlig grundlos, musste ich in einem Gespräch plötzlich weinen, was jedoch als Reaktion völlig unangemessen war (also so „Norm-technisch“ gesehen).
Mein Gesprächspartner (und ich auch) hatten das nicht kommen sehen, was mich erst mal nicht sonderlich irritiert – schließlich war es ja nur Wasser! Doch ich wurde zunehmend unsicherer, durch die Reaktion meines Gegenübers, was dem Tränen-Stopp nicht wirklich zu Gute kam.
Nach zahlreichen Hilfsversuchen à la „Was kann ich tun, damit das aufhört?“ wurde mir immer klarer: „Lass mich heulen, entspann dich! Es passiert gerade nichts Schlimmes! Es muss halt nur raus!“ Doch das scheint keine kompatible Ansage zu sein.
Tränen= Trauer und Trauer=Schlecht
Die Formel in unserer Gesellschaft lautet wohl genau so und ist vermutlich der Grund, warum wir mit Tränen und Trauer schlecht umgehen können, wenn überhaupt. Wenn jemand einen Lachanfall bekommt, den es übrigens auch grundlos gibt, dann findet man das lustig, ansteckend, schön und vermutet keine psychische Störung dahinter. Bei Tränen wittern wir Probleme, Verstrickungen und ungewollte Verantwortung für den Weinenden, das macht natürlich keinen Spaß, also weg damit! Schnell!
Wozu weinen wir?
Zahlreiche Studien haben versucht herauszufinden (und tun es noch) wer, warum, wie und unter welchen Umständen weint. Einige sind sie sich jedoch nur in dem Punkt, dass Tränen Ausdruck unterschiedlicher Emotionen sind, nicht nur von Trauer! [Mehr zum Thema Weinen sowie Studienverweise (hier) und Fakten darüber, findest du hier, hier, und hier.]
Wir wissen also relativ wenig über das Weinen und meist ängstigt es uns, sodass es zum Tabu wird. Was wiederum dazu führt, dass wir so schwierig zwischen einem „Mal heulen wollen/müssen“ und der Beginn einer wirklichen psychischen Erkrankung unterscheiden können, was das Tabu verstärkt, denn wer will schon einen „Knacks“ attestiert bekommen? Ein Teufelskreis!
Dabei kann weinen und mal richtig traurig sein sehr befreiend wirken. Ich bin sogar überzeugt davon, dass wenn es mehr Platz für Tränen, Traurigkeit und kurzfristig „negative“ Emotionen gäbe, unserer Gesellschaft weniger mit Ängsten, Burnout, Depressionen und dem Gefühl von Einsamkeit zu schaffen hätte.
Ich plädiere also für das Zulassen von Tränen und Trauer (google hierzu mal „die 4 Phasen der Trauer“), damit wir uns damit ein Stück unserer selbst zurück erobern und lernen, wann wir uns Hilfe suchen müssen und wann ein bisschen Wasser im Gesicht ausreicht, zum eigenen Wohlbefinden.
Die Welt erleben heißt eben auch die Schattenseiten zu erkunden – was im Nachhinein oft sehr erhellend ist!
also alles Liebe Heulsuse und Piensmax
K.